Überhaupt, diese Serpentinenstrecken. Manche sind weniger schlimm, als sie auf der Karte aussehen, manche eine unangenehme Überraschung. Irgendwann las ich einmal in einem Reisebericht, es gebe Straßen, bei denen die Kurven so häufig und eng seien, daß die Zeichner der Inselkarten wohl keine Lust oder keinen ausreichend feinen Stift gehabt hätten, um alle Serpentinen dort einzuzeichnen und statt dessen einfach einen durchgehenden Strich gemalt hätten. So eine Strecke ist die Route les Cannelles. Als ich am nächsten Morgen hier entlangfahre, sieht es zunächst so aus, als sei die Karte korrekt, ein langes gerades Stück führt zwischen einer Gemüsepflanzung mit großen Gewächshäusern entlang. Ein kleines Stück Landstraße, auf dem man einfach einmal ohne erhöhte Konzentration fahren und die Gedanken schweifen lassen kann. Ein bißchen wie zuhause.
Sobald man in die Höhe fährt stimmt aber nichts mehr, sondern wohl eher die Einschätzung des besagten Reiseberichtverfassers. Eine Kurve folgt der nächsten, ganz anders, als die Route les Cannelles auf meiner Karte dargestellt ist. Man windet sich nach oben, aber lange dauert es nicht, bis man auf der anderen Seite an der Anse Boileau angekommen ist.
Die Anse Boileau ist, gerade bei Ebbe, nicht der schönste aller Seychellenstrände,
aber was ich hier suche, hat auch mit Baden nichts zu tun. Hier, irgendwo verborgen auf einem Privatgrundstück am Strand, befindet sich ein weiterer Reitbetrieb, der neben den vor wenigen Jahren von Südafrikanern eröffneten Turquoise Horse Trails eher im Verborgenen blüht. Elsezare, der Name der Reitschule, eine Namensschöpfung der Gründerin, der Tochter des ehemaligen Präsidenten René. Geleitet wird die Reitschule von einer jungen Engländerin, mit der ich einige Monate vor meiner Reise Emailkontakt aufgenommen habe, um mir die Pferde und die Aktivitäten ansehen zu können. Leider sitzt sie gerade jetzt nach einem Besuch in der alten Heimat in England fest und hat Probleme mit der Wiedereinreise aufgrund verzögerter Verlängerung der Arbeitserlaubnis. Angesichts der großen Zahl ausländischer Beschäftigter in der Baubranche und in der Gastronomie, bin ich immer wieder erstaunt, wie pingelig einzelne Arbeitserlaubnisse bei Europäern geprüft werden. Aber wie auch immer, unsere Verabredung, bei der ich zwei alte Bekannte von La Digue wiederzutreffen gehofft hatte, droht nun daran zu scheitern, so daß ich wenigstens einen kurzen Versuch starten will, die Reitschule auch ohne Ellies Wegbeschreibung zu finden.
Daß ich so hartnäckig bin, hat weniger damit zu tun, daß ich selbst aufs Pferd möchte, die Angebote der Reitschule bestehen sowieso größtenteils aus Reitunterricht für einheimische Seychellois und Kinder von Expats. Was mich sehr viel mehr interessiert, sind die Bemühungen der Betreiber, die vom Aussterben bedrohte Rasse des La Digue-Ponys zu erhalten, von der es noch drei anerkannte Exemplare gibt. So hat man die zwei letzten verbliebenen Ponys vom l’Union Estate-Gelände zur Anse Boileau geholt, Tyangoman und Azhar, die sicher manchem noch gut in Erinnerung sind. Die beiden alten Schimmel, beide fast 30, werden hier liebevoll umsorgt, und mit der einzig verbliebenen Stute dieser Rasse, die sich ebenfalls im Besitz von Elsezare befindet, hoffte man im letzten Jahr auf züchterische Erfolge. Leider vergebens, die aus der Anpaarung mit Azhar tragende Stute verfohlte, im kommenden Jahr wird man hoffentlich mehr Erfolg haben.
Natürlich ist die Rasse des La Digue Ponys nicht als Rasse mit geschlossenem Zuchtbuch und klaren Standards nach europäischem Maßstab zu betrachten. Aber es gilt allgemein als anerkannt, daß es sich bei den früher zahlreichen kleinen Schimmeln im Arabertyp um eine Pferderasse mit gewissen eigenen Merkmalen handelte, die man eben als La Digue-Pony bezeichnete. Ich hätte die beiden alten Herren, die letzten Vertreter der einstmals großen Herde, die das l’Union Estate Gelände durchstreifte, gern noch einmal wiedergesehen und ein paar aktuelle Fotos gezeigt. Für die Nostalgiker, und die, die sich an Pferde auf dem l'Union Estate nicht mehr erinnern können, gibt es auf der Facebook-Seite von Elsezare (eine andere haben sie nicht) ein nettes Album mit alten Fotos. Ich denke, das müßte auch ohne FB-Account anzusehen sein (wem die Anmeldemaske die Sicht versperrt, einfach auf "später" klicken, dann verschwindet das):
https://www.facebook.com/media/set/?set ... 195&type=3
Leider kann mir an der Anse Boileau niemand weiterhelfen, und hier wird mir zum wiederholten Mal bewußt, daß die Verständigung auf Französisch und Englisch nicht mehr so problemlos verläuft, wie vielleicht noch vor 10 Jahren. Begriffe, die nicht zum alltäglichen Grundwortschatz gehören, verstehen viele nicht, so löse ich mit meiner Frage nach einer Reitschule in beiden Sprachen nur Ratlosigkeit aus, und es bedarf zunächst einer genaueren Umschreibung, bevor verstanden wird, was ich meine. Die Zeiten, in denen man voraussetzen konnte, daß ein jeder Seychellois von Geburt an wie selbstverständlich beide Sprachen auf Muttersprachlerniveau erlernt, dürften vorbei sein, Kreol ist jetzt die Landes- und Muttersprache, sie wird als Erstsprache erlernt, überall angewandt, und sowohl Französisch als auch Englisch sind Fremdsprachen, die, nicht anders als bei uns, erst später im Rahmen des Schulunterrichts erlernt werden. Ich finde das auch gut und richtig so. Aber meine Reitschule finde ich nicht, wenn überhaupt, werde ich jedesmal direkt zu den Turquoise Horse Trails an der Anse Barbarons verwiesen. Den Weg zur Reitschule der Locals scheint seltsamerweise niemand zu kennen.
Dafür ermöglicht mir der kleine Spaziergang ein paar Einblicke in das pittoreske Alltagsleben entlang der Küstenstraße, an dem ich sonst meist mehr oder weniger unabsichtlich vorübergefahren bin:
Nicht nur Wind und Wellen, auch der Preßlufthammer formt den Granit:
Wie immer, wenn man in Seitenstraßen einbiegt, in denen selten Fremde zu Fuß gehen, wird man begleitet vom giftigen Gebell der Winnies. Winnies, die korrekte Bezeichnung dürfte wohl Zwergspitz sein, hielt man auch im früher von uns bevorzugten Gästehaus auf La Digue, und ein sprachliches Mißverständnis, nämlich das kreolisch verschliffen ausgesprochene „Veni!“ sorgte dafür, daß manche Gäste dies für den Namen des Hundes hielten. Der kleine Insiderwitz einer früheren Seychellenreise wurde später zum geflügelten Wort für all diese kleinen Hunde.
Weshalb man in einem tropischen Land eine Hunderasse favorisiert, deren herausragendstes Merkmal ihr dichtes Fell ist, werde ich nie verstehen. Weshalb man sich die kleinen Fußhupen, die für ihr hysterisches Gekläff und ihre tendenziell aggressiven Charakterzüge bekannt sind, gern mit Zwingern vom Leib hält, verstehe ich schon eher. Überall auf den Inseln trifft man auf aus Holzlatten und Kaninchendraht zusammengenagelte Käfige Marke Eigenbau, in denen meist ein ganzes Rudel wie rasend keifender Winnies auf und abhüpft, wenn man daran vorübergeht. Auch hier begleitet mich der Lärm, der sogar den des Preßlufthammers übertönt!
Allein dafür hat sich der nochmalige Ausflug zur Anse Boileau gelohnt: Ich komme zuguterletzt noch zu meinem Foto vom Pig Rock!
Zurück auf der Route les Cannelles ist es nicht mehr weit bis zu Tom Bowers‘ Studio. Eine schwere Schiffsglocke muß man betätigen, als Nachbar wäre ich hier wohl nur mässig begeistert.
Tom selbst kommt zur Pforte, begleitet von seinen Hunden, die ein gewaltiges Spektakel veranstalten. Sie werden mir namentlich vorgestellt, bis das erledigt ist, haben sie sich dann auch beruhigt.
Das Anwesen ist klein und irgendwie vertraut, so oft habe ich die hier ausgestellten Skulpturen schon auf Fotos gesehen. Das Kopfportrait eines Pferdes aus dem nicht mehr existenten Reitbetrieb Utegangar, Esmeralda und meine Lieblingsskulptur, die Frau mit dem Bananenblatt.
Die Skulpturen, erklärt mir Tom, werden vorab aus Polyresin geformt und zum Guß nach Südafrika gesandt.
Mir gefällt sein Stil sehr, auch wenn er ein wenig idealisiert-phantastisch anmutet, die Frauen- und Männerfiguren wirken androgyn und feenhaft, passen aber zu den Motiven, die alle einen Bezug zum Inselleben haben. Hierher bin ich durchaus auch mit einer gewissen Kaufabsicht gekommen, einen echten Bowers hätte ich schon gern. Er habe gerade wenig Ausstellungsstücke da, vor allem kleine, sagt er mir. Wo die denn wären, frage ich ein wenig dümmlich, wobei ich natürlich die Möglichkeit einer Galerie irgendwo in Victoria oder im Ausland im Sinn hatte. You see, grinst Tom, da kommen manchmal Leute vorbei, und die nehmen die dann einfach mit. Schlagfertig ist er.
Seine Galerie ist, genrebedingt, weniger bunt als die eines Malers. Aber die Atmosphäre ist ähnlich wie bei Adams oder früher bei Barbara Jenson, die Hunde und Katzen, und die wohl dicksten Skinke, die ich je gesehen habe (was vermutlich dem freien Zugang zu den Katzenfutternäpfen zuzuschreiben ist). Nichts wirkt wie für eventuelle Besucher oder Kaufinteressenten arrangiert. Kein Marketing, nichts ist Hochglanz, nichts preist sich an. Tom Bowers ist ein bescheidener, freundlicher älterer Herr. Für mich, ebenso wie Adams und Jenson, die Verkörperung einer Künstlergeneration, die vor mehr als 50 Jahren auf die Seychellen kam, um hier in dieser einzigartigen Natur ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, die die Abgeschiedenheit suchten und als Personen hinter ihrer Kunst zurücktreten. Ebenso wie die Ponys von La Digue scheinen sie die letzten ihrer Art zu sein, ihre Galerien wie Relikte in einem Meer aus Selfiefotografen, Contentmanagern, Bloggern und anderen Selbstdarstellern, die vor dem exotischen Hintergrund der Seychellen vor allem ihre eigene Person inszenieren. Ich bin froh, hergekommen zu sein und behalte so ein, zwei kleine Skulpturen im Hinterkopf. Bestellen kann man auch aus Deutschland.
Während ich noch auf dem Grundstück herumwandere und vor allem das Kopfportrait des Pferdes bewundere, hat Tom sich schon längst wieder an die Arbeit gesetzt.
Die Schildkröte links, der ich beim Fotografieren die Nasenspitze abgeschnitten habe, stellt übrigens Esmeralda in Lebensgröße dar:
Zum Abschied zeigt er mir, an was er gerade arbeitet, eine kleine Skulptur eines Musikers.
Tonpa, erklärt mir Tom, hat es sogar bis in die internationale Musikszene geschafft, auf den Seychellen genießt er Kultstatus. Als ob er ahnte, welche Gedanken mir beim Betrachten seiner Galerie durch den Kopf gegangen seien, fragt mich Tom, ob ich wüßte, wie das früher hier gewesen sei, auf den Seychellen. Die Stones waren hier, überhaupt viele Musiker hätten hier in den Bergen Mahés Häuser gehabt, lange, bevor der Flughafen gebaut wurde. So hielt Tonpas Musik und sein von ihm erfundenes Instrument, die Bonm, auch Einzug in die Musik der Stones, auf den Seychellen gilt er als Vater der traditionellen Folkmusik. Auch Tom verehrt ihn ganz offensichtlich, es gibt eine kleine, bereits fertig geformte Krone, die der fertigen Skulptur später auf den Kopf gesetzt werden soll (auf dem Foto kann man sie neben den Füßen liegen sehen).
Ich kann mir nicht helfen, auch wenn ich bis heute noch nie von ihm gehört hatte – Tonpa kommt mir irgendwie bekannt vor.