Ein Buch, das zu den aktuellen rasanten Veränderungen auf den Inseln paßt, wie die Faust aufs Auge, ist
Poems and Short Stories of Seychelles and beyond von Marion Zarqani Gendron.
https://www.amazon.com/Poems-Short-Stor ... 0754117189
Das Buch ist auf englisch verfaßt, die Wortwahl ist recht elaboriert, ich mußte da so einige Male das Wörterbuch bemühen, weitaus überwiegend ist die Prosa aber mit Schulenglischkenntnissen zu verstehen; beim lyrischen Teil wäre ich mir nicht so sicher, aber Gedichte sind ja sowieso so eine Sache für sich.
Das Buch ist schon vor 15 Jahren erschienen, viele der Kurzgeschichten sind aber weitaus früher entstanden und spiegeln den für Einheimische bereits damals wahrnehmbaren zunehmenden Einfluß des Tourismus wider. So schildert die Autorin, eine gebürtige Seychelloise, verschiedene "letzte Gelegenheiten", liebgewonnene Orte noch einmal zu besuchen, bevor Privatisierung, Eröffnung touristischer Einrichtungen oder infrastrukturelle Erschließung sie wenig später vollständig veränderten. So erfährt man von geheimen Reisfeldern im Bergwald hinter der Police Bay, die vor unbefugtem Betreten durch allerlei Gris Gris-Zauber bewahrt wurden, bis die gesamte Region schließlich durch den Ausbau der Landstraße zugänglich gemacht wurde. Oder die Schwierigkeiten, North, früher einmal eine der landwirtschaftlich ertragreichsten Inseln der Seychellen, von aggressiven verwilderten Rinderherden zu befreien, derer nicht einmal südafrikanische Profijäger Herr werden konnten, so daß schließlich das Militär zu einer Großaktion anrücken mußte. Es sind diese, wie so oft, skurrilen Geschichten, die das Buch vor allem lesenswert machen und mich darüber hinwegtrösteten, daß die Prosa leider größtenteils recht platt heruntergeschrieben ist und über weite Teile an etwas lieblos verfaßte Reiseberichte erinnert, in denen die Ereignisse einfach chronologisch aufgezählt werden, ohne sich die Mühe zu machen, mal hier eine elegante Überleitung oder da eine humorvolle Vokabel einzubauen.
Etwas inspirierter wird der Stil, wenn die Autorin Naturbeobachtungen schildert, wie ein um seine Balance ringendes Schwalbenküken auf einem Kasuarinazweig. Da gibt es dann auch gelegentlich Inneneinsichten in ihre Wahrnehmung, Gedanken und Empfindungen, da gibts dann auch mal eine Metapher oder eine humorvolle Einlage, wie sich das eigentlich für eine ordentliche Kurzgeschichte gehört, in der, wenn sie fesselnd sein soll, aufgrund ihrer komprimierten Form eigentlich jeder Satz sorgfältig formuliert sein muß.
Im Lyrik-Teil des Buches, der den Kurzgeschichten vorangestellt ist, wird die Autorin, genrebedingt, sicher den meisten Tiefgang zeigen, nur war Gedichtanalyse leider nie mein Favourite, ich habe es immer gehaßt, Gedichte anhand Metrik und Reimschema auseinanderzupflücken und mir dann einzubilden, ich hätte jetzt verstanden, was der Poet mir sagen will, deshalb verzichte ich lieber darauf, dies hier auch nur beispielhaft zu tun, sondern beschränke mich lieber auf ein paar allgemeine Anmerkungen. Es ist ganz hilfreich zu wissen, daß die Autorin einer der führenden Köpfe der Baha'i-Bewegung auf den Seychellen ist. Es ist überdies nützlich, ein wenig über diese Universalreligion zu wissen, die sich ebenfalls auf das Alte Testament stützt. Die Baha'i sind auf den Seychellen recht aktiv, die Gemeinde ist insbesondere auf Mahé groß und auch einflußreich. Anderenorts, insbesondere im Ursprungsland des Glaubens, Iran, sowie zahlreichen anderen Ländern, sind die Mitglieder jedoch als religiöse Minderheit Verfolgungen und Repressalien ausgesetzt und davon wird einiges hier thematisiert und verarbeitet. Es macht es leichter, die Texte zu verstehen, wenn man dies weiß. Ich hatte das Glück, daß ein ehemaliges Forumsmitglied enge Kontakte zu der Baha'i-Gemeinde auf Praslin hat und mir mit ein paar Hintergrundinfos weiterhelfen konnte, ansonsten ist man auf ihre offiziellen Seiten angewiesen oder halt Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bahaitum
Da ich diesen Thread ja ursprünglich mal eröffnet habe, um Seychellen-Romane und ähnliche Literatur zu empfehlen und nicht zu verreissen, hätte ich jetzt eigentlich dieses Buch eher komplett unerwähnt gelassen, denn stilistisch hat es mir eher nicht so gefallen. Daß ich es hier dennoch erwähne hat vor allem damit zu tun, daß ich es aufgrund der Beschreibungen der zum Zeitpunkt der Entstehung der Geschichten touristisch noch nicht erschlossenen Inseln North, Cousine, der völligen Einsamkeit einer Police Bay und einiger doch recht gelungener Schilderungen seychellischen Lebens insgesamt für lesenswert halte, vor allem für Nostalgiker.
Wer sich näher mit den Baha'i beschäftigen möchte, könnte sich ein älteres Buch von Marion Zarqani Gendron zu Gemüte führen,
The Seed is sown, das kenne ich allerdings nicht.
http://www.nation.sc/article.html?id=219167