Da wird im Forum wochenlang und in aller Ausführlichkeit vor dem Chikungunya-Virus gewarnt! Wir haben Antibrumm gekauft und ein Moskitonetz eingepackt und uns jedes vorbeifliegende Insekt mit der Lupe angeguckt …
Und was passiert nun? Wir sind infiziert – alle beide.
Aber es ist nicht Chik! Viel schlimmer und vermutlich mit lebenslangen Nachwirkungen verbunden. Im Anfangsstadium sind es Taumelzustände, ein gestörtes Verhältnis zur Realität, Fassungslosigkeit, anhaltender Zweifel an dem, was wir mit eigenen Augen sehen … Es fängt harmlos an. Die ersten Anzeichen haben wir bereits auf Praslin bemerkt. Aber ich fürchte, dies ist ein Virus, der nie ganz ausheilt: der Seychellen-Virus.
Ob es wirklich etwas damit zu tun hat, daß wir heute auf La Digue angekommen sind? Es ist diese unendliche Vielfalt an Augen-, Ohren- und Gaumenschmaus. Die Fülle der Farben, die Grübchen dieser schönen Menschen, wenn sie das kleine, zugewandte Lächeln in ihr Gesicht zaubern. Das Tauziehen zwischen Anstrengung und Belohnung, wenn man bei diesen Temperaturen etwas unternimmt. Es ist das Zusammenspiel unzähliger Details, die mit dem fröhlich-roten Piepmatz auf der Dachrinne beginnen. Wie ein beständiger Faden ziehen sich kleine Nichtigkeiten, die das Herz erfreuen, die Augen erst recht, durch den Tag. Ein buntes kleines Boot schaukelt auf dem Türkisblau, eine tiefrote Hibiskusblüte wiegt sich im Wind. Rosa und silbrig-grau schimmernd der Fischfang, den ein junger, muskulöser Seychellois gerade an seinem Fahrradlenker aufhängt. Kinder mit strahlend weißen Zähnen ziehen in einer Gruppe zum Strand, spielen fröhlich lachend Ball in den Wellen. Man fühlt sich gleichermaßen nichtig und wichtig. Die Gedanken sind frei. Du hältst das Gesicht in den leichten Wind, und alles, was Dich sonst beschäftigt oder bedrückt, wird klein. Ein Gecko verschwindet flink in einer Mauerspalte, während eine friedlich-freundliche rotbraune Promenaden-Mischung mit einem weißen Fleck auf der Brust neugierig Deine Hand leckt. Irgendwo fällt mit einem lauten Platsch eine reife Frucht vom Baum zu Boden. Selbst die ordentlich aufgereihten Konservendosen beim Inder bekommen einen Hauch von Romantik.
Wenn Du so weit bist, kennt diese fiese Krankheit kein Erbarmen mehr!
Heute morgen haben wir uns von Marie-France verabschiedet. Ein letztes Mal über die Achterbahn-Anfängerstrecke auf Praslin bis zum Jetty. Wir sind recht früh. Mein Mann schimpft, daß ich alle Bücher in die eine Reisetasche gepackt habe. Warum wir überhaupt Bücher mitgenommen haben? Den Därrschen Reiseführer kenne ich auswendig, abends sitzen wir auf der Terrasse und schwärmen uns gegenseitig vor. In der Wartehalle wird es langsam voller. Ein niedliches Mädchen, die etwa fünfjährige Tochter der Kioskbesitzer, probt schon einmal ihre Rolle als zukünftige „Miß Seychelles“, lächelt ungezwungen und goldig in die zahlreichen Video- und Digitalkameras der Urlauber, die mit und ohne Gepäck auf den Transfer nach La Digue warten. Wenig später sitzen wir im Boot. Der kleine Dampfer kämpft sich pflichtbewußt und stetig Richtung La Digue. Nach dem gestrigen Tag auf dem Katamaran ist diese Überfahrt unspektakulär. Ich betrachte die Menschen an Bord und versuche mir vorzustellen, wie ihr Leben verläuft und was sie damit verbinden, hier zu sein. Als ich mich nach unten bücke, um irgend etwas aus dem Rucksack zu kramen, merke ich, daß das ein Fehler war. Mir ist nicht richtig übel, nur ein bißchen … Einen Punkt am Horizont zu fixieren, hilft ein wenig. Aber ich bin froh, als wir anlegen.
Wir waren nicht verabredet und sind umeinander herumgeschlichen wie die Katze um den heißen Brei. Friedel begrüßt uns bereits am Hafen! Wir hatten für ihn „kleines Frachtgut“ aus Deutschland mitgebracht und freuen uns riesig, ihn kennenzulernen und uns mit ihm zu unterhalten. Aber zunächst geht es mit dem Ochsenkarren zu unserem Domizil.
Ja – La Digue ist anders. Diese Insel hat ein anderes Tempo, andere Farben, ein ganz anderes Flair. Es ist bunter hier. Endlich erheischt mein Auge schon im ersten Vorbeifahren die vielen Blüten, die ich nicht nur auf Fotopapier, sondern mit dem Herzen einfangen will. Danny pfeift ein Lied. Die Melodie kommt mir irgendwie bekannt vor. Kurze Verständigung mit meinem Mann: „Tränen lügen nicht!“ – aus den Sechszigern. Ich spreche Danny an, mache ihn darauf aufmerksam, daß dies ein deutscher Schlager ist, übersetze ihm den Refrain. Vermutlich pfeift er dieses Lied öfter, wenn deutsche Urlauber an seinem Rücken vorbei auch noch ein Foto von dem Rücken seines Ochsen machen wollen. Er ist betroffen, daß es ein trauriges Lied ist, kontert mit „Musi denn zum Städtele hinaus“ – und dann sind wir auch schon da. An der Rezeption erkundigt sich Danny kurz vom Kutschbock aus nach unserer Zimmernummer und gibt dem armen Ochsen einen letzten theatralischen Hieb, dann halten wir vor unserem „Anwesen“.
Die Räumlichkeiten sind großzügig. In den Wohn-, Eß- und Küchenbereich mit dem offenen Giebel hätte wohl das kleine Fertighaus meiner Eltern reingepaßt. Das alles gehört uns allein - das andere der beiden Schlafzimmer ist nicht vermietet. Vorn umgeben von einer Veranda mit weißem Holzgeländer, drei Stufen über der Plantage mit einem Brotfruchtbaum, Hibiskus und Frangipani, komme ich mir wie in „Jenseits von Afrika“. Friedel kommt mit dem Fahrrad und hat drei frischgekühlte EKU im Rucksack. Wir sitzen gemütlich zusammen.
Später spazieren wir durch La Passe, schauen in die Gärten, jede einzelne Blüte möchte ich festhalten. Die Menschen grüßen freundlich, ab und zu müssen wir einem zielstrebigen Radfahrer ausweichen. Hinter La Passe erheben sich Berge, Vögel ziehen gleichmäßig und gelassen ihre Runden. Wir landen schließlich im Café Tarosa. Also, ohne irgend jemandem nahetreten zu wollen, diesen „Schuppen“ mit lieblosen Speisen und einer Bedienung, die außer getuschten Wimpern nicht viel zu bieten hat, brauchen wir nicht mehr. Ich will das gar nicht näher kommentieren.
In der Dämmerung laufen wir zurück, sitzen noch eine Weile auf unserer herrschaftlichen Terrasse. Auf dem Heimweg ist mir ein Foto von einem Sonnenuntergang gelungen, für das ich mir noch heute auf die Schultern klopfe. Der Techniker, den ich geheiratet habe, probiert fasziniert die Funktionen der Klimaanlage aus und verschwindet im Bett. Ich sitze im „Tanzsaal“ und schreibe und gucke Löcher in die warme Luft und kann es nicht fassen, daß wir gemeinsam hier sind – es ist unbeschreiblich schön.


Donnerstag, 25. Mai
„Räder müssen her!“, entscheidet mein Mann an diesem Morgen. Wenig später kommt das junge Mädchen von der Rezeption mit zwei Fahrrädern. Nachdem wir uns über den Preis einig sind, fahren wir Richtung Anse Source d’Argent von dannen.
Schön, dieser Werbefotographen-Traumstrand. Wir spazieren und gucken, zum Schluß schlagen wir unser Lager ganz am Ende des Weges auf. Der Platz ist nicht sensationell, aber recht ruhig. Nur, wer wirklich bis zum Schluß durchgehalten hat, kommt hierher. Wir gehen gemeinsam im Wasser um die Granitblöcke herum, herrliche Bilder.
Es ist heute brütend heiß. Auf dem Rückweg kommen wir an der Werft, der Mühle, dem alten Friedhof vorbei. Nachmittags radeln wir an den Hafen und erstehen in einem Snack-Shop leckere Teigteilchen mit einer kräftig-würzigen Fischpasteten-Füllung. Wir hätten so gerne an einem anderen Tag noch mehr davon gekauft, aber leider war der kleine Laden später immer geschlossen.
Auf Deutsch grüßt uns ein Einheimischer – es ist der arme Kerl, der die Reisetasche mit den vielen Büchern vom Boot zum Ochsenkarren bringen mußte. Wir fahren an die Anse Sevère, einem sehr schönen Strand mit Takamakabäumen und Pinien, die bis ins Wasser ragen und angenehmen Schatten spenden. Die Fahrräder lassen wir an einem Baum gelehnt stehen und laufen bis zur Anse Patatran, wo wir im Restaurant des L’Océan einen köstlichen Fruchtcocktail und einen Schokoladen-Milchmix trinken. Die Aussicht ist phantastisch. Im Hintergrund singt Frank Sinatra „What a wonderful world …“. Können wir daran etwa zweifeln?
Abends essen wir im hauseigenen Restaurant der Lodge Fischragout und Hähnchencurry mit einer Papayabeilage, danach einen mit Cocoscreme gefüllten Pfannkuchen. Später kommt Friedel. Wir sitzen auf der Veranda, trinken EKU und unterhalten uns über dies, das und alles. Mein Mann hat in einem kleinen Kramladen im Kühlschrank Tonic entdeckt, und nun wird aus dem am Flughafen gekauften Gin endlich auch ein Gin-Tonic. Es wird spät.


Freitag, 26. Mai
Etwas später als gedacht treten wir heute mit dem Fahrrad die Fahrt zur Grand Anse an.
Ich hasse dieses Fahrrad. Erst war der Sattel nicht hoch genug, jetzt ist der Sattel gut, aber der Lenker zu niedrig, noch dazu der Sattel bretthart. Die Strecke ist recht schattig, rechts und links blickt man in die Gärten und Häuser, manche sind gepflegt und bunt, andere wirken verwahrlost oder fast unbewohnt. Hier wohnt Arm neben Reich, einige verlassene Grundstücke sind dazwischen. Drei „motorisierte" Ochsenkarren überholen uns. Die Tagestouristen werden zum Barbecue an die Strandbar an der Grand Anse gefahren. Dort trinken wir noch ein Wasser und eine Cola und lauschen den Segaklängen.
Die Grand Anse wie auch die Petite Anse und die Anse Coco, die wir in den nächsten Stunden besuchen, werden geprägt von der Brandung. Stundenlang könnte man dem Schauspiel zuschauen, das die auf den weiten, weißen Sand aufbrausenden Wellen bieten. Gleichmäßig, aber immer wieder anders, besonders an den Granitfelsen, die eine natürliche Begrenzung der Strände bilden. Man kann sich kaum losreißen von den Bildern.
Die Wanderung von der Grand Anse zur Anse Coco ist sehr schön. Der Weg ist, mit wenigen Unterbrechungen, schattig. Die natürlichen Stufen sind nicht so hoch und damit auch nicht anstrengend, zur Erholung geht es immer wieder ein Stück eben durch den Wald oder über Wiesen. Es zirpt und zwitschert, sattes Grün mit zarten orangefarbenen, lila und weißen Blüten wiegt sich in einem leichten, angenehmen Wind. Bei einem Ruhepäußchen im Wald entdeckt mein Mann in einer Baumhöhle einen schwarz-roten Krebs, groß wie die Faust eines Preisboxers. Irgendwo, als wir über die runden Steine nach unten klettern, riecht es nach Vanille. Und es riecht nach Meer.
An der Anse Coco ist es fast menschenleer, wir suchen uns ein schattiges Plätzchen unter einer Pinie. Ab ins Wasser. Schwimmen oder Schnorcheln kann man hier bei aufsteigendem Wasser nicht, aber es macht Riesenspaß, in der Brandung zu stehen und sich von den Wellen spazierentragen zu lassen. Wirklich erholsam ist der frische Wind – zum ersten Mal seit Tagen ist es richtig „kühl“.
Mein Mann spielt mit den Wellenbergen. Er kann gar nicht genug kriegen. Es sieht schön aus, ich mache einige Fotos für die Schwiegermutter. Plötzlich kommt mein Wellenheld "betröppelt“ ans Ufer. Das Spiel war zu schön - die Brille ist weg! Auf Nimmerwiedersehen verschluckt vom großen Indischen Ozean. Wir stehen noch eine Weile am Strand und halten Ausschau. Weg ist weg.
Auf dem Rückweg beobachten wir kleine sandfarbene Krebse, die offenbar einen Familienausflug machen, gut getarnt und wie schwerelos über den Strand wetzen und ab und zu von den Wellen verschluckt werden. Dann wandern wir zurück zur Grand Anse. Unser Wasservorrat wird ziemlich knapp, und wir freuen uns auf die Strandbar.
Wir schnappen unsere Fahrräder und machen uns auf den Heimweg.
Ich liebe dieses Fahrrad. Bis auf ein kleines steiles Stück am Anfang geht’s über weite Strecken bergab. Der Fahrtwind ist so schön auf der Haut. Rechts und links die gleichen Gärten, aber man sieht gar nicht die gleichen Blüten, Wäscheleinen, spielenden Kinder wie vorhin, sondern entdeckt diesmal andere Kleinigkeiten. Ein alter Kreole in langen Hosen und mit weißem Hemd radelt uns entgegen, hebt die Hand und grüßt freundlich „Bon Szwar“. Überhaupt grüßen sehr viele Seychellois auf der Straße, auf den Pfaden, wo immer man sich begegnet, mit einem freundlichen Lächeln, als würde man seit Jahrzehnten dazugehören. Wir erledigen noch kleine Einkäufe, mein Mann ist mittlerweile Profi und weiß immer, wo es was gibt. Im Supermarkt in La Passe ist das Angebot zwar gewiß nicht vollständig, aber vielfältig. Wir werfen einen Blick in die kleine, propere Kirche. Es ist ein einfaches Gotteshaus, schlicht und ergreifend, mit einer schönen geschnitzten Holzrosette und einem ebenso schönen, in Holz gearbeiteten Altar. Üppige Plastikblüten sind zur Dekoration der Heiligen aufgestellt, alles andere würde bei diesen Temperaturen ja auch ruckzuck verblühen. Neben den Vierzehn Leiden Christi rechts und links hängen Ventilatoren.
Am Abend sitzen wir bei Friedel auf Terrasse. Seine Frau hat gekocht, und nun genießen wir nach einem fürstlichen kreolischen Abendessen die Ruhe dort „am Ende der Welt“. Wir sind zu Fuß gekommen, ausgerüstet mit zwei guten Taschenlampen. Auf dem Rückweg freuen wir uns darüber, denn gegen halb zwölf ist mit Ausnahme der vielen Hunde, deren Gebell uns auf dem Heimweg begleitet, niemand mehr unterwegs. Es ist stockdunkel unter dem Sternenzelt. Friedel hat uns etwas Musik mitgegeben, nicht Sega, aber kreolisch, und wir sitzen noch ein wenig auf unserer Kolonialhausterrasse.


Samstag, 27. Mai
Zum Frühstück ist wieder der kleine Piepmatz zu Gast, der sich hier offenbar das Vorrecht erobert hat, die Toastbrotkrumen zu stibitzen. Aufmerksam beobachtet der niedliche Verwandte von unseren deutschen Spatzen jeden Tisch, ein weißes Lätzchen mit einem zarten orangen Fleck auf der Brust. Flink und geschickt fliegt er eine Tischkante an, ergattert „sein“ Frühstück und flüchtet mit der Beute in einen benachbarten Hibiskus. Dieses Schauspiel wiederholt sich, bis alle Gäste ihren Obolus beigetragen haben. Es ist der erste Teil einer kleinen Tierkunde, die uns heute erwartet.
Vorerst aber werden wir von dem unverkennbaren Geräusch eines Hubschraubers aufgeschreckt und radeln flugs zum nahegelegenen Landeplatz. Dies wird also morgen unser letzter Transfer auf den Seychellen. Ein klein wenig Wehmut mischt sich in die Vorfreude auf den Helikopterflug und auf Mahé. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Wir haben hier so viel erlebt, können es dennoch gar nicht fassen, daß die Hälfte dieser wundervollen Tage schon vorbei sein soll.
Wir erledigen kleine Einkäufe und fahren Richtung Norden. La Passe hat heute ein anderes Gesicht. In dem kleinen Take-away, wo wir unsere Getränke kaufen, steht eine geschwätzige Gruppe zusammen und läßt sich beim Einkauf Zeit. Es ist Samstag, die Leute haben frei. Noch dazu ist am Nachmittag ein wichtiges Fußballspiel auf dem neuen Sportplatz – irgendwie spürt man die freudige Aufregung der Diguois, die diesem Ereignis entgegenfiebern. Eine Schulklasse ist zu Fuß unterwegs Richtung Anse Sevère.
Der Weg, den wir mit unseren Fahrrädern zurücklegen, hat einige kurze Steigungen. Entweder man gibt auf und schiebt, oder man tritt kräftig in die Pedalen. Wir machen eine kleine Rast, rechts am Wegesrand. Der Platz ist schattig, eine Madonnenfigur in einem geschützten Pavillon wacht, in den grauen Granitblock geschmiegt, über die Geschehnisse. Solche Wegekreuze kennen wir aus Seligenstadt. Auch hier ist der Ort zum Beten mit Blumen geschmückt und lädt ein zu Ruhe und Einkehr.
An der Anse Banane begegnet uns mitten auf der Straße eine große Schildkröte. Sie geht gemächlich ihren Weg. Schließlich erreichen wir die Anse Caiman. Es ist fast Ebbe. Wir wollten ohnehin nicht baden, sondern suchen uns ein schattiges Plätzchen. Wie gestern weht ein angenehmer Wind. Vor uns der Indische Ozean. Man wird nie müde, seine Farben und das Wellenspiel zu betrachten. Plötzlich ein erschrockener Laut von meinem Mann. Ein besonders mutiger, dunkelgrauer Krebs klettert hurtig über seinen rechten Fuß. „Das ist ein Kamikaze-Krebs!“, sagt mein Mann – damit hat der unerschrockene Artgenosse seinen Namen. Er turnt außer Sichtweite, kommt wieder, umkreist uns. Wir fragen uns, ob wir vielleicht auf seinem Hauseingang sitzen? Wenig später findet mein Mann eine kleine Muschel. Als er sie aufnimmt, kommt ein winziger Einsiedlerkrebs zum Vorschein. Tapfer wickelt sich der kleine Krebs aus seinem Haus und hakt sich in der Haut ein wenig fest. Es kitzelt. Als es ihm zu bunt wird, kneift er richtig zu. Fasziniert beobachten wir. Biologiestunde.
Auf dem Rückweg kehren wir noch einmal im L’Océan ein. Der Schulausflug planscht an der Anse Sevère. Am Ortseingang von La Passe kaufen wir in einer Bäckerei einige Teigstückchen, billig und sehr lecker. Ein kurzer Abstecher bei Friedel im Garten. Heute ist einfach Tierwelt angesagt: Vor einer kräftig orangen Blüte flattert ein Kolibri. Er steht fast in der Luft.
Den Nachmittag verbringen wir auf unserer Veranda. Der kleine Spatz von heute morgen ist wieder da und will von unserem Gebäck abhaben. Vorwitzig flattert er von der Stuhllehne auf den Verandatisch und in den nächsten Baum. Ich mache noch einen kleinen Spaziergang, nur mit dem Fotoapparat in der Hand. Die Kirche von außen, einige Frangipaniblüten. Das ganze Dorf scheint auf den Beinen. Es ist Fußball. Der neue Sportplatz liegt direkt hinter unserem Domizil. Viele haben einen Platz auf der Tribüne ergattert, aber es gibt auch einige Zaungäste, die in Trauben vor dem Maschendraht stehen, wo immer die Bepflanzung einen Blick auf das Spielfeld zuläßt. Väter kommen, ihre Buben auf dem Lenkrad sitzend, mit dem Fahrrad vorbei und fachsimpeln mit anderen, die sich ein, zwei Bier gekauft haben. Über allem liegt ein Hauch von Wochenende, die Menschen sind fröhlich und trinken viel. Man trifft sich, plaudert, will sehen und gesehen werden.
Gegen fünf brechen wir zu Fuß auf Richtung Bellevue. An unserem letzten Abend wollen wir den Sonnenuntergang von oben sehen. Der Weg ist sehr steil, wir werden bestimmt nicht so weit kommen, wie wir es uns wünschen. Aber wir gehen beharrlich bergauf, das Ziehen in den Oberschenkeln ist hier ja schon ein vertrautes Gefühl geworden.
Rechtzeitig zum Sonnenuntergang finden wir einen Platz auf einer Mauer mit Blick auf La Passe, den Ozean, der taubenblaugrau und ruhig vor uns liegt. Im Hintergrund dunkel, grau und anthrazitfarben Île Ronde und Praslin. Je ferner die Inseln, um so sanfter die Konturen ihrer Silhouetten. Der Himmel mit seinen Wolkengebilden bietet ein eigenes Schauspiel mit zuerst grellen, dann pastellen, dann wieder kräftigen Farben, während die Sonne hinter Praslin versinkt. Über unseren Köpfen kreisen, vom Nid d’Aigle kommend, zahlreiche Flughunde in weiten Runden hinunter ins Tal. Ihre unverkennbaren Schreie begleiten unseren Weg zurück nach La Passe. Ein letztes Abendessen auf dieser schönen Insel, während dem ein kurzer, aber kräftiger Regenschauer die Gäste ins Restaurantinnere treibt. Erst vor einer Woche sind wir auf den Seychellen gelandet. Wie viel haben wir schon erlebt – was wird noch kommen? Wir spazieren im Schein unserer Taschenlampen nach Hause und wissen nicht, ob wir traurig oder glücklich sein sollen.

