Haie haben zwei Penisse

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robhof
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Haie haben zwei Penisse

Beitrag von robhof »

Da biologische Themen hier im Forum auf Interesse stoßen :lol: , poste ich hier für Euch "exklusiv" ein Kapitel aus dem noch nicht erschienenen Buch "Räuber, Monster, Menschenfresser" (Erscheinungstermin Ende September 2007, KOSMOS Verlag).

Haie haben zwei Penisse

Mag sein, dass im Zeitalter der allgegenwärtigen medialen Übersexualisierung „der Hai mit zwei Penissen“ ein publikumswirksames Schlagwort darstellt. Doch, dass vielleicht nur einer der beiden funktionstüchtig ist, würde bereits diese „Leistung“ vermindern. Und welch ein Rückschlag wäre es zu erfahren, dass Haie gar keinen Penis besitzen! Oder doch? Die Antwort hängt davon ab, wie man das Wort Penis definiert. Wenn man ganz allgemein ein wie auch immer geartetes Begattungs- bzw. Kopulationsorgan meint, dann lautet sie ja. Wenn aber jemand an den Penis der Säugetiere oder gar der Menschen denkt, dann lautet die Antwort eindeutig nein. Denn die paarigen Klasper oder Mixopterygien (früher auch Pterygopodien) der männlichen Haie haben stammesgeschichtlich nichts mit dem Penis der Säugetiere zu tun, außer, dass beide die Funktion der inneren Befruchtung erfüllen.

Ein kleiner Exkurs in die recht komplexe Reproduktionsbiologie der Wirbeltiere ist an dieser Stelle erforderlich, um das Geheimnis der zwei „Haipenisse“ zu lüften. Denn so einfach, wie wir es von der eigenen Spezies kennen, ist es im Tierreich nicht. Grundsätzlich können sich Wirbeltiere durch äußere oder innere Befruchtung vermehren. Die äußere, bei der die von den Weibchen produzierten Eier außerhalb des Körpers mit den Spermien der Männchen besamt werden, finden wir bei den allermeisten Knochenfischen (einer der wesentlichen Unterschiede zu den Knorpelfischen, die grundsätzlich innere Befruchtung haben), bei praktisch allen Froschlurchen (mit einer einzigen Ausnahme); man denke nur an die Laichzeit der Frösche und Kröten im Tümpel und den abgelegten Laich sowie bei einigen Schwanzlurchen (Molche und Salamander). Die äußere Befruchtung ist sicher die ursprünglichere, „primitivere“ Form der Reproduktion, die es vielen Knochenfischen ermöglicht gleich Millionen von Eiern zu produzieren. Den Rekord hält der seltsam anmutende riesige Mondfisch mit 300 Millionen Eiern!

Die innere Befruchtung minimiert die Anzahl der möglichen Nachkommen dramatisch. Sie gibt es in drei Varianten. Entweder ist bei den Männchen kein Begattungs- bzw. Kopulationsorgan ausgebildet. Dann pressen die Männchen und Weibchen während der Paarung ihre Kloaken (gemeinsamer Ausgang von Darm, Harnwegen und Genitalwegen) aufeinander, wie man es bei den allermeisten Vögeln kennt. Bei einer anderen Übertragungsart legen die Männchen Samenpakete ab, die anschließend von den Weibchen in die Genitalöffnung aufgenommen werden, so bei manchen Schwanzlurchen (Molche, Salamander).

Oder aber es ist für die Spermienübertragung ein Begattungsorgan ausgebildet, den es in den verschiedensten Formen gibt. Doch wiederum ist Vorsicht vor übereiligen Schlüssen geboten: Nicht einmal bei den meisten Säugetieren ist die Übertragung der Spermien mit Lustgefühlen verbunden. Bei den allermeisten Wirbeltieren handelt es sich um eine hormonell gesteuerte biologische "Pflichterfüllung" … Eine Vorstellung, die den meisten Menschen nicht zusagen wird.

Die innere Befruchtung ist sicher und effektiv. Die Spermien gelangen konzentriert dorthin, wo die eigentliche Befruchtung stattfindet, zu den Eiern, und kein Umweltumstand wie etwa starke Strömung kann sie daran hindern. Darum wurde die innere Befruchtung sowie ein entsprechendes Übertragungsorgan in der Evolution bei verschiedenen Wirbeltiergruppen wiederholt und unabhängig voneinander entwickelt. Diese Begattungsorgane sind nicht miteinander „verwandt“, sie sind nicht homolog, wie es in der Biologie genannt wird. Bei Knorpel- und Knochenfischen (den wenigen mit innerer Befruchtung) geht es um modifizierte Flossen, bei allen anderen Wirbeltieren um verschiedene Ausstülpungen der Kloake.

Die Männchen der zu den Amphibien zählenden beinlosen Blindwühlen besitzen beispielsweise ein so genanntes Phallodeum, Eidechsen und Schlangen paarige Hemipenes (!), Krokodile und Schildkröten wiederum einen unpaaren Penis.

Manche Knochenfische – wer kennt die allseits beliebten Guppys, Black Mollys und Schwertträger aus dem Aquarium nicht – haben ihre Analflossen zu Begattungsorganen umgebildet (da die Analflosse eine unpaarige Flosse ist, ist auch das Organ unpaarig). Bei den genannten lebend gebärenden Zahnkarpfen (Poecilliidae) wird es Gonopodium genannt. Und bei Haien schließlich, hat die Evolution den Innenrand ihrer paarigen Beckenflossen zu einem in Folge ebenfalls paarigen Begattungsorgan umfunktioniert. Diese Myxopterygien oder Klasper haben bei den mehr als 1.100 Arten bekannter Knorpelfischarten vielfältige Formen und Strukturen, die manchmal gruppen-, manchmal aber auch artspezifisch sind. Sie spielen somit auch für den Systematiker und Taxonomen eine wichtige Rolle.

Beide Klasper sind von einer Rinne durchzogen, deren kopfseitige Öffnung Apopyle, die schwanzseitige hingegen Hypopyle genannt wird. Vor dem Ansatz der eigentlichen Klasper, im vorderen Bereich der Bauchflossen, liegen unter der Bauchhaut zwei zusätzliche Bildungen, muskulöse, ampullenartige Säcke, die Siphos. Sie sind für die Besamung mindestens so wichtig wie die Klasper selbst. Eine kleine Röhre führt aus dem Sipho direkt zur Apopyle, zum „Eingang“ der Klasperrinne. Bei Haien wird der Sipho mit Meerwasser gefüllt und wird dann unter Druck als „Injektion“ ausgestoßen: Mit diesem Meerwasser wird das sich bei der Kopualtion bereits in der Rinne befindliche Sperma in die weibliche Kloake gespült.

Diese vereinfachte Darstellung soll lediglich als Model dienen, um sich ein Bild der Haireproduktion machen zu können. Denn vieles ist noch offen und nur bei ganz wenigen Haiarten wurde ihre Sexualbiologie eingehend untersucht. Welche Funktion etwa der kleine abspreizbare Anhang am Ende der Klasper, das Rhipidion erfüllt, ist Gegenstand von Spekulationen. Nicht minder unsicher sind unsere Kenntnisse der Details des Klaspereinsatzes. Bei manchen (?) Arten soll nämlich nur ein Klasper wirklich funktionstüchtig sein. Wenn der abbricht, soll der zweite seine Funktion nicht übernehmen können. Doch warum ist es so? Welcher Klasper wird eingesetzt, der rechte oder linke? Ist es artspezifisch unterschiedlich? Bei vielen Haien wurde beobachtet, dass der gerade räumlich passendste eingeführt wird, und das widerspricht der Vorstellung von nur einem funktionstüchtigen Klasper. Wie stark unterscheiden sich diesbezüglich die 500 bekannten Haiarten? Auch für Ammenhaie wird angegeben, dass sie beide Klasper einsetzen können – sogar gleichzeitig. Eine zuverlässige, zusammenfassende wissenschaftliche Darstellung des Themas fehlt bisher.

Während man das Geschlecht bei Knochenfischen äußerlich oft nicht erkennen kann und es auch viele zwittrige Arten mit Geschlechtsumwandlung gibt, sind die Geschlechter der Knorpelfische durch die Klasper immer eindeutig und leicht zu erkennen – vorausgesetzt man sieht die Bauchseite der Tiere. Die für viele Knochenfische so typische Geschlechtsumwandlung gibt es bei Haien, Rochen und Chimären nicht.

Nicht nur das Geschlecht der Knorpelfische lässt sich anhand der Klasper erkennen, sondern auch das Alter. Bei juvenilen Männchen reichen sie nur bis zum freien hinteren Rand der Bauchflossen, bei geschlechtsreifen Tieren überragen die Klasper diesen Hinterrand. Bei jüngeren Tieren sind die Klasper kurz, weich und biegsam, mit zunehmendem Alter wird aber Kalk eingelagert und sie verhärten. Bei voll ausgewachsenen Männchen sind die Klasper fast so lang wie die Bauchflossen selbst und überragen deren hinteren Rand ganz markant.

Die Paarung der Haie kann auf uns recht heftig wirken. Einer der Klasper (in Ausnahmefällen beide) wird in die Genitalöffnung der Weibchen eingeführt, während das Männchen das Weibchen immer wieder beißt. Die „Paarungsnarben“ durch „Liebesbisse“ der Männchen sind auf den Körpern vieler Weibchen zu sehen. Die Verkalkung des Organs kann so weit fortschreiten, dass einer der Klasper während der Kopula abbricht. Dazu beitragen könnten auch die speziell angepassten Plakoidschuppen, die auf den Klaspern so orientiert sind, dass das Organ möglichst nicht aus der weiblichen Kloake rutscht.

Erst bei den Beuteltieren und placentalen Säugetieren gibt es bei den Männchen unfefähr den Penis, den das eingangs zitierte Schlagwort meint. Es entwickelte sich aus der bauchseitigen (ventralen) Wand der Kloakenregion und wird von Meyers online lexikographisch folgendermaßen definiert: „Penis (lateinisch eigentlich ‚Schwanz’) der, Rute, männliches Glied, Phallus, männliches Begattungsorgan bei vielen Tieren und beim Menschen. Bei Haien müsste man korrekter Weise von der „Flosse“ sprechen …

Übrigens steckt die Welt des Lebendigen voller Wunder und Überraschungen. Es gibt nicht nur paarige Begattungsorgane der Männchen, sondern bei Beuteltieren auch einen paarigen Uterus und eine paarige Vagina. Bei manchen Beuteltieren tritt sogar vorübergehend eine dritte Scheide auf, die so genannte Pseudovagina, die nur als Geburtskanal dient.
Die ... Begeisterung, die wir beim Betrachten der Natur empfinden, ist eine Erinnerung an die Zeit, da wir Tiere, Bäume, Blumen und Erde waren ... Leo N. Tolstoi

Robert, Salzburg
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rastlos
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Beitrag von rastlos »

Hallo Robert,
mit dem Copyright hast Du es nicht so, oder?! :wink:

Juristisch kannst Du damit das Forum aber in arge Probleme stürzen. Das solltest Du als freier Journalist eigentlich wissen :roll:
Wer rastet der rostet und es gibt einfach zu viel Schönes auf unserer Erde zu entdecken!
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robhof
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Beitrag von robhof »

... nein, so tragisch ist es nicht ... das war eine ursprüngliche, zu lange Version, die dann auf ein Drittel gekürzt wurde ... es ist ja nicht das ganze Buch, sondern nur ein Kapitel, dass in der Form gar nicht im Buch vorkommt. außerdem stehe ich ja mit meinem Verlag nicht auf Kriegsfuß ... Und letztlich handelt es sich nicht um Harry Potter, sondern um ein Buch über Haie :lol: Leider :? Wäre ich froh, wenn's umgekehrt wäre, die Rowling schreibt über Haie und ich über Harry ... Keine Sorge, das Forum wird keine Probleme haben ...
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